VPLT Wiki

Funkfrequenzen Deutschland

wiki_tags

Funkfrequenzen Deutschland

Stellungnahme von Dr. Jochen Zenthöfer, Sprecher der Initiative SOS – Save our Spectrum im VPLT Magazin No. 100

Verlust der Kulturfrequenzen führt zu einer „lose-lose-Situation“

Die Weltfunkkonferenz 2023 rückt näher. Im Herbst wird in Dubai beraten, ob Kultur und Rundfunk ihre Frequenzen im Bereich zwischen 470 und 694 MHz langfristig behalten dürfen – oder ob sie faktisch von anderen Nutzern verdrängt werden.

Interesse haben etwa die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Dazu zählen Polizei, Feuerwehr, Zoll und andere. Doch neue Erkenntnisse zeigen: BOS könnte das Funkspektrum nur im Raum Kassel nutzen. Das Gebiet ähnelt auf der Landkarte einer Banane, deshalb spricht man von der „Kasseler Banane“. Grund: Nur in diesem Teil in der Mitte Deutschlands gibt es keine Störungen aus dem Ausland. In anderen Ländern darf der Rundfunk langfristig weiterfunken, und Funkwellen machen nicht an Ländergrenzen halt. BOS könnte daher beispielsweise in NRW, Bayern oder Baden-Württemberg, aber auch in Berlin oder Hamburg den Bereich zwischen 470 und 694 MHz gar nicht störungsfrei nutzen.

Folgende Entscheidungsalternativen liegen für die Weltfunkkonferenz vor:

1. „No change“

Diese Position, die unter anderem von Frankreich, UK, Italien, Spanien und Österreich unterstützt wird, entspricht dem Koalitionsvertrag und sollte die Haltung Deutschlands bei der Weltfunkkonferenz sein. Die Interessen von BOS können durch eine prioritäre Nutzung des 700 oder 800 MHz-Bandes befriedigt werden, vergleichbar anderer EU-Länder.

2. „ko-primär“

Diese Position ist abzulehnen, da sie eine große Gefahr für den Rundfunk und die Kultur- und Kreativwirtschaft bedeutet.

Die von den Innenministerien angedachte Reihenfolge, zuerst eine „ko-primäre“ Zuweisung auf der Weltfunkkonferenz zu bewirken und erst im Anschluss eine europäische Harmonisierung der BOS-Frequenzen anzustreben, wird erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen. Eine europäische Harmonisierung dieser Frequenzen für BOS ist äußerst unwahrscheinlich. Die bestehenden und geplanten Rundfunknutzungen der Nachbarländer haben Bestandsschutz, auch über 2030 hinaus. Zudem wird das Band von Russland, Ukraine und Belarus auch militärisch genutzt. Auch mit diesen Ländern müsste, wegen der Einstrahlungen nach Deutschland, eine Einigung gefunden werden.

Eine „ko-primäre“ Zuweisung bedeutet für Öffentlichkeit und Markt, dass Rundfunk und Kultur weiteres Spektrum entzogen wird. Für die Kultur bedeutet es die Gefahr, dass Produktionen, Festivals und andere Veranstaltungen nicht mehr im gewohnten Umfang in Deutschland möglich wären. Veranstalter würden für Großveranstaltungen verstärkt auf Nachbarländer oder gar andere Weltregionen ausweichen.

„Ko-primär“ bedeutet daher nicht Flexibilität, sondern ist eine Entscheidung, die Rundfunk und Kultur nachhaltig schadet und BOS nicht hilft (sogenannte „lose-lose-Situation“). Denn wegen der fortlaufenden Einstrahlungen aus dem Ausland wäre eine BOS-Nutzung in Deutschland lediglich in einer kleinen Region rund um Kassel („Kasseler Banane“) möglich.

3. sekundär

Diese Position ist abzulehnen. Zwar bliebe der terrestrische Rundfunk primär im Spektrum. Allerdings würde es durch die Mitnutzung durch andere mobile Funkdienste zu massiven Einschränkungen für drahtlose Produktionsmittel wie Funkmikrofone kommen. Zudem droht eine weitere Gefahr. Eine sekundäre Zuweisung kann sehr leicht zu einer primären Zuweisung werden. Das zeigt das Beispiel der Region 2 (Amerika). Hier liegt eine sekundäre Zuweisung für mobile Funkdienste vor, die dann für Kanada, USA und Mexiko zur primären Zuweisung wurde. In der Folge haben Rundfunk und Kultur massive Probleme. In einigen Regionen der USA, etwa in Phoenix/Arizona, gibt es kaum noch freie Frequenzen im TV-UHF-Band für Funkmikrofone. Wenn hier größere Veranstaltungen stattfinden sollen, muss jedes Mal eine Ausnahmegenehmigung zur Nutzung von kommerziellen Mobilfunkfrequenzen erwirkt werden. Insofern wird der sogenannte Kompromissvorschlag „sekundär“ in Öffentlichkeit und Markt als Vorstufe zu „ko-primär“ verstanden.

Fazit

Man kann nur hoffen, dass Deutschland gemäß dem Koalitionsvertrag der Regierung Scholz abstimmt: Dort ist ein „no change“ festgehalten. Das wäre für die Veranstaltungswirtschaft ein Segen!

Argumentationspapier

Unter dem Titel „Frequenzen: Zukunft von terrestrischem Fernsehen sowie Produktionsbetrieb und Kultur in Deutschland“ hat die Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen ein neues Dokument veröffentlicht. Es hat den Stand von März 2023. Es fasst die Argumentationen von Rundfunk und Kultur zusammen.

Als PDF speichern